Harry-Potter-Schule lädt zum Zaubern
Unterricht: Projekt in Groß-Umstadt mit leistungsschwachen Jugendlichen – Kräuterkunde, Hauspunkte, Quidditch-Sport
GROSS-UMSTADT. Slytherin, das Team der eher bösen Buben, gibt’s nicht in der aktuellen Harry-Potter-Schule im Kreis. Aber die drei anderen Hausgemeinschaften aus der fantastischen Romanwelt Joanne K. Rowlings finden sich derzeit an der Ernst-Reuter-Schule in Groß-Umstadt.

40 der 100 Jugendlichen in den dortigen Klassen für Lernhilfe erleben für fünf Wochen zauberhaften Unterricht – wie in der Zaubererschule Hogwards. Da gibt’s Kräuterkunde und Alchemie in den drei geschmückten Klassensälen. Selbst gebastelt liegen dort auch die zuweilen glitzernden Zauberstäbe. Im großen Buch der Zauberregeln steht ganz oben für alle: „Übung macht den Meister."

„Wir haben hier unsere Schüler aus drei 7., 8. und 9. Klassen der Lernhilfeabteilung auf die drei Häuser Ravenclaw, Gryffindor und Hufflepuff verteilt. Nur Slytherin fehlt, weil wir nicht von vorneherein einen Bösewicht haben wollten", erläutert Abteilungsleiterin Kerstin Glanz (33).

Die Mutter des Projekts trägt einen großen spitzen Hut auf dem Kopf und schwärmt: „Kindisch, was soll das?", hatten manche zum Beginn des Projekts gefragt. Doch mittlerweile wird beispielsweise in Muggelkunde, wo es um die Welt der Nicht-Zauberer geht, England und London behandelt. Im normalen Unterricht hätte das kaum einen interessiert." Im Sportunterricht wird Quidditch gespielt; freilich nicht auf fliegenden Besen.

Viele Experimente und Projekte, beispielsweise mit einem schwebenden Luftballon, themenorientiertes, fächerübergreifendes Lernen; solchen Unterricht kann sich Schulleiter Matthias Hürten zwar auch in anderen Klassen und Schulzweigen vorstellen. Richtig sei auch, dass Hausteams Identität stiften und Generalversammlungen aller Schüler das Wir-Gefühl stärken können.

Dennoch lasse sich Lernen im Zauberer-Internat Hogwards nicht auf die nüchterne Realität einer staatlichen Gesamtschule übertragen. „Dafür wären nicht alle Schüler geeignet." Die meisten der am Projekt teilnehmenden Jugendlichen hätten daheim keinen der Harry-Potter-Bände gelesen, geschweige denn viele andere Bücher. Ohnehin haben viele der Dreizehn- bis Fünfzehnjährigen große Probleme beim Lesen und Schreiben. Dies, obwohl nur ein Viertel ausländischer Herkunft seien. „Oft liegt’s am Elternhaus, das für Schule nichts am Hut hat, wo die Eltern selbst kein Interesse an Schule hatten, sich nicht kümmern", sagt Lehrerin Kerstin Glanz.

So waren diese Lernhilfeschüler oft schon in der Grundschule aufgefallen. Kein Leben als Zauberer, sondern vielmehr als Hartz-IV-Empfänger steht drohend vor ihnen. „Vielleicht zwanzig Prozent lesen auch mal ein Buch, aber alle sitzen vor dem Computer", so die Lehrerin. Mit der Schule organisiert, geht jeder einmal die Woche zum Praktikum in einen Betrieb. Die Hoffnung ist, dass auch diese Schüler entweder den Hauptschulabschluss schaffen, oder sogar einen Ausbildungsplatz erhalten und dann dort auch durchhalten.

Das sind Herausforderungen, die wohl selbst den weisen Super-Zauberer Albus Dumbledore und seinen jungen Freund Harry Potter gefordert hätten.

 

Reinhard Jörs
13.11.2007

 
   
   






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